Investigativjournalist:innen sind unverzichtbar – ohne Sie würde wohl, vorsichtig gesagt, noch viel mehr Schindluder auf der Welt getrieben werden als sowieso schon. Aber es gibt Themen, über die sich selbst diese mutigen Journalist:innen nicht trauen zu schreiben. Welche sind das und warum ist das so? Und wie schaffen es oft dennoch, ihre Recherchen an die Öffentlichkeit zu bringen? Das habe ich zusammen mit Michael Brüggemann, Jannis Frech, Volker Lilienthal und Wiebke Loosen untersucht (ja, genau, das ist das tolle Team, mit dem ich schon zum Thema digitale Innovationen im Investigativjournalismus gearbeitet habe).
Publiziert haben wir das Ganze in Journalism unter dem Titel „You suck it up and you deal with it“: Blind spots in investigative reporting and how to overcome them.
Wir haben 90 Investigativjournalist:innen aus 60 Ländern interviewt. Wie schon beim Projekt zu digitalen Innovationen im Investigativressort haben wir die Interviews auf der Global Investigative Journalism Conference (2019) geführt, der größten und wichtigsten Konferenz für Investigativjournalist:innen aus aller Welt. Dazu nochmal vielen Dank an Thomas Schnedler von Netzwerk Recherche!
Was haben wir herausgefunden? Erstmal gibt es eine Menge Themen, die Investigativjournalist:innen in den Ländern, in denen sie arbeiten, nicht bearbeiten können. Die meistgenannten Themen sind Politik, Korruption und Kriminalität. Diese Angaben kommen vor allen Dingen von Journalist:innen aus dem globalen Süden, und dort aus Ländern mit geringer Pressefreiheit und demokratischer Qualität (d.h. z.B. autokratische Regime).
Die Journalist:innen haben offensichtlich große Befürchtungen, wenn Sie sich dennoch in diese Bereiche vorwagen. Die meisten Einflüsse auf ihre Arbeit kommen aus dem weiteren sozialen System, in dem sie sich befinden – so wird z.B. Einfluss von Politiker:innen oder von Gerichten genommen, was Selbstzensur bewirken kann. Außerdem ist der fehlende Zugang zu Daten und Informationen ein Problem; hier spielen unter anderem eingeschränkter Zugang zu Datenbanken und generell zu Informationen von Behörden eine Rolle. Das heißt: die Journalist:innen haben kaum Zugang zu dem, was Journalismus überhaupt ausmacht: Information!
Außerdem fürchten viele Journalist:innen, hier wieder besonders aus dem globalen Süden und aus Ländern mit geringer Pressefreiheit, persönliche Repressalien. Jobverlust, Verfolgung, Gefängnis, Tod – die Antworten waren bedrückend.
Auch die Medienorganisation, für die sie arbeiten, spielt eine Rolle. So haben sie manchmal kaum Budget und Zeit für tiefgehende Recherchen, die es aber gerade im Investigativjournalismus braucht. Aber auch hier sind politische Abhängigkeiten zu nennen, sodass die Journalist:innen nach der Leitlinie des Blattes oder der Website schreiben sollen.
Das hört sich alles ziemlich schlimm an. Ist es auch, aber es gibt auch Hoffnung, denn die Journalist:innen werden kreativ, und publizieren ihre Artikel oft dennoch. So veröffentlichen Sie z.B. in einem anderen Land, oder bitten internationale Kolleg:innen, ihnen mit ihren Kontakten zu helfen, besonders wenn sich Ressourcen teilen lassen. Ansonsten sagen sie auch, dass einfach ihre Aufgabe ist, Dinge ans Tageslicht zu bringen – koste es, was es wolle. Das ist ihre Mission, sagen sie, und davon hält sie auch keiner ab. Sehr mutig und bewundernswert! Mutig müssen sie auch sein, denn ihre Medienorganisation ist kaum in der Lage, ihnen zu helfen. Die Journalist:innen haben einige Wünsche, allem voran mehr Budget, aber das bleiben meistens Träume.
Also: Es gibt viele Faktoren, die auf die Arbeit von Investigativjournalist:innen einwirken und zu blinden Flecken führen können, besonders im globalen Süden und in Ländern mit geringer Pressefreiheit und demokratischer Qaulität.A ber: die Journalist:innen lassen sich nicht abhalten, sie finden neue Wege – und das macht Hoffnung. Wie sagte ein/e Journalist:in aus Südafrika, was unserem Forschungsartikel seinen Namen gab?: „How do you deal with it? You suck it up and you deal with it”!